Vampire
Der Tag endete mit einem heulenden Chemiker.
Begonnen hatte alles vor vier Wochenenden, als ich über die Schulter meines Kneipengesprächs hinweg ein hübsches Profil sah. Das Profil gehörte, wie sich im Lauf des Abends herausstellte, zu einem Chemiker mit Zimmer in einer alternativen Groß-WG. Wir verabredeten uns. Kino, Spaziergänge, heiteres Beisammensein.
Dann kam die erste Mail. „Ich bin so einsam“, schrieb der Chemiker. „Alle sind böse. Aber das macht nichts, denn jetzt bist du ja da.“ Die Mail irritierte mich. Die Nase war wirklich sehr edel geschwungen und meine Laken schrien nach fremden Männerschweiß. Trotzdem frage ich Marie: „Er ist hübsch. Aber seine ganzen Probleme, die will ich nicht hören.“ Marie, die mit Bettgenossen erstaunlich milde umgeht, sagt: „Manche Männer sind wie Schwäne, wollen alles mit einer Partnerin teilen.“
Der Schwan in mir fühlte sich überfordert. Aber gut, denke ich und sage bei den köstlichen Steaks, mit denen der Chemiker angenehmerweise vor meiner Tür steht: „Bei der Arbeit habe ich ein Problem ...“
„Ich“, unterbricht mich der Chemiker, „bin heute wieder von allen im Labor angestarrt worden. Die Giftspritzen sind voller Neid, weil ich besser drauf bin, seit ich dich kenne.“
„Ich wollte gerade erzählen ...“
„Und mein Chef redet plötzlich auch wieder mit mir. Die Ratte hat mich ein halbes Jahr ignoriert.“
Ich schweige. Das Schweigen sinkt in meinen Magen und geht mit den Steaks eine bittergelbe Verbindung ein.
Am nächsten Tag gehen wir wandern. Der Chemiker läuft auf schmalen Pfaden hinter mir und haucht mir die Frevel seiner Ex-Freundinnen in den Nacken. So gut ich kann, höre ich weg. Auf der schönsten Frühlingswiese, voll mit gelben Butterblumen, machen wir Fotos mit Selbstauslöser. „Küss mich“, sagt der Chemiker. „Die Bilder zeige ich den Säcken im Labor.“
Ich küsse ihn nicht. Im Auto sage ich, dass ich die Zusammenkünfte beenden möchte. Die Falten des Chemikers verziehen sich zur Schnute eines Erstklässlers, er plärrt los. Aus der edlen Nase rinnt Rotz in meinen Kragen. „Wem soll ich nun alles erzählen, wenn nicht dir?“, schluchzt er. Erst als ein giftiger Nachbar über unser schief geparktes Auto schimpft, kann ich mich befreien.
Zu Hause schaue ich in den Spiegel, ob ich noch da bin. Ich sehe fahl aus. Ein gutes Stück Seelchen herausgesaugt.
Begonnen hatte alles vor vier Wochenenden, als ich über die Schulter meines Kneipengesprächs hinweg ein hübsches Profil sah. Das Profil gehörte, wie sich im Lauf des Abends herausstellte, zu einem Chemiker mit Zimmer in einer alternativen Groß-WG. Wir verabredeten uns. Kino, Spaziergänge, heiteres Beisammensein.
Dann kam die erste Mail. „Ich bin so einsam“, schrieb der Chemiker. „Alle sind böse. Aber das macht nichts, denn jetzt bist du ja da.“ Die Mail irritierte mich. Die Nase war wirklich sehr edel geschwungen und meine Laken schrien nach fremden Männerschweiß. Trotzdem frage ich Marie: „Er ist hübsch. Aber seine ganzen Probleme, die will ich nicht hören.“ Marie, die mit Bettgenossen erstaunlich milde umgeht, sagt: „Manche Männer sind wie Schwäne, wollen alles mit einer Partnerin teilen.“
Der Schwan in mir fühlte sich überfordert. Aber gut, denke ich und sage bei den köstlichen Steaks, mit denen der Chemiker angenehmerweise vor meiner Tür steht: „Bei der Arbeit habe ich ein Problem ...“
„Ich“, unterbricht mich der Chemiker, „bin heute wieder von allen im Labor angestarrt worden. Die Giftspritzen sind voller Neid, weil ich besser drauf bin, seit ich dich kenne.“
„Ich wollte gerade erzählen ...“
„Und mein Chef redet plötzlich auch wieder mit mir. Die Ratte hat mich ein halbes Jahr ignoriert.“
Ich schweige. Das Schweigen sinkt in meinen Magen und geht mit den Steaks eine bittergelbe Verbindung ein.
Am nächsten Tag gehen wir wandern. Der Chemiker läuft auf schmalen Pfaden hinter mir und haucht mir die Frevel seiner Ex-Freundinnen in den Nacken. So gut ich kann, höre ich weg. Auf der schönsten Frühlingswiese, voll mit gelben Butterblumen, machen wir Fotos mit Selbstauslöser. „Küss mich“, sagt der Chemiker. „Die Bilder zeige ich den Säcken im Labor.“
Ich küsse ihn nicht. Im Auto sage ich, dass ich die Zusammenkünfte beenden möchte. Die Falten des Chemikers verziehen sich zur Schnute eines Erstklässlers, er plärrt los. Aus der edlen Nase rinnt Rotz in meinen Kragen. „Wem soll ich nun alles erzählen, wenn nicht dir?“, schluchzt er. Erst als ein giftiger Nachbar über unser schief geparktes Auto schimpft, kann ich mich befreien.
Zu Hause schaue ich in den Spiegel, ob ich noch da bin. Ich sehe fahl aus. Ein gutes Stück Seelchen herausgesaugt.
Rattenbaum - 11:31
Das Viertel, das