Geschichten aus dem glanzlosen Alltag


Montag, 5. Dezember 2005

Advent in der WG

Ich neige ja zu leichter, aber wirklich nur leichter, Verwahrlosung.

Sage bei benutzten Töpfen: Ach, brauche ich nicht abwaschen, einmal kann ich die Kartoffeln noch drin kochen. Verschiebe das Fensterputzen von Jahr zu Jahr und erfinde immer bessere Ausreden. (Dieses Jahr: Wissenschaftler haben herausgefunden, dass deutsche Vögel in Massen gegen wohlgeputzte Fenster fliegen und sich das Genick brechen.) Staubsaugen mag ich nicht, und Papierkram auch nicht. Er bildet hübsche Häufchen auf Fußboden und Gästebett.

Mit anderen Worten: Mein Zimmer ist nicht wirklich schön, aber auch nicht wirklich schlimm. Nein, es riecht nicht, auch bade ich gern und achte in Gemeinschaftsräumen auf pingeligste Sauberkeit. Echt.

Heute jedoch kam ich nach Hause, und meine Zimmertür war zu. Das ist sie nie, denn Luft muss zirkulieren. Da mein Mitbewohner in fernen Landen weilt, stellte ich die verbliebene – und übrigens sehr nette – Mitbewohnerin zur Rede. Und siehe da, sie gestand. Der Anblick meines Zimmers störe sie in ihrer Adventsharmonie.

Tja. Einer muss sich da wohl ändern. Im Hinblick auf die vorweihnachtliche Nächstenliebe sollte ich das wahrscheinlich sein.

Samstag, 3. Dezember 2005

Marie bringt mich zur Weltliteratur

Einmal war ich bei einem Vorstellungsgespräch, bei dem man dem Erschießungskommando nicht einzeln, sondern im Dreierpack vorgeführt wurde.

Ein weißhaariger Typ, aus wertvollen Fernsehsendungen öffentlich bekannt, zielte mit der Frage: „Welches Buch haben Sie zuletzt gelesen?“ auf eine meiner Mitangeklagten.
Sie, glücklich über den unerwartet sachten Angriff, voller Enthusiasmus: „‘Das Parfum‘ von Patrick Süsskind. Ich finde das Buch ...“
Er, grimmig: „Das ist doch schon vor 10 Jahren erschienen. Sie haben wohl keinen Sinn fürs Aktuelle, hmmm?"
Ich, geschockt, zu Frl. Rattenbaum: „Gut, dass dieser Kelch nicht mich erreicht hat.“

Ich lese nämlich nichts Aktuelles. Ich bin da konservativ und lasse lieber andere prüfen und wichten, bevor ich meine wertvolle Zeit – die ich heute zum Beispiel in einem Zitronenölbad und dem lauten Absingen aller mir bekannten Nationalhymnen verbracht habe – für irgendwelchen Schrott vergeude. Da sich Marie aber in letzter Zeit ablenken muss und schon ihre ganze Stadtteilbibliothek ausgelesen hat, versprach ich ihr, meinen Bücherschrank zu plündern. „Aber nur Gutes“, sagte Marie.

Seitdem begutachte ich meine unbekannten, angestaubten Bücher. Von „Barbar Rosa“ von Georg Klein (2001, etwas gewollt) über „Die Salzstadt“ von Li Rui (1999, wie „Hundert Jahre Einsamkeit“, nur verunsicherte mich, dass Li Rui permanent eine Zukunft vorherschreibt, die nie eintritt. Also etwa: „Hätte Naijing gewusst, dass sie in 60 Jahren in DIESEM Bambushain stehen würde, hätte sie nicht geweint) und endlich zu Harper Lees „Wer die Nachtigall stört“ (1961).

Fein! Wie Harper Lee mit den Augen eines Kindes durch das Südstaaten-Kleinstadtleben der 30er Jahre und einen Rassen-Schauprozess führt. Und man erst am Schluss merkt (ich zumindest), dass die frisch und naiv erzählten ersten Jahre Teil eines feingesponnenen Komplotts sind.

Noch Jahre später, lieber Weißkopf aus dem Fernsehen, fühle ich mich in meiner bescheidenen Meinung bestärkt: Das Aktuelle, Du Blödfresse, ist wurschtegal.

Mittwoch, 23. November 2005

Sie stinken!

Im Zug. Nach einem üblen Arbeitstag lasse ich mich in die Polster fallen und beginne, in meiner Zeitung zu blättern. Nicht lange darauf entert ein Mensch die Sitzreihe hinter mir.
„Oho“, denke ich. „Der riecht aber ungewaschen.“

Nach einer Weile: Das Zischen einer Bierdose. Ich denke mir nichts Böses. Auf einmal kommen sie – böllernde Rülpser voller Erbsensuppe mit verfaultem Fleisch.
„Das gibt sich“, sage ich begütigend zu mir. Doch es kommt noch einer. Und noch einer. Diesmal Bratkartoffeln mit Zwiebeln und Speck.

Da stehe ich auf und sage zu dem Mann Anfang 40: „Sie, machen Sie den Magen zu. Sie stinken!“
Ein erstaunter Blick aus grau-roten Augen.
„Ja, Sie stinken. Und das in meine Richtung.“
„Hören Sie mal, Frollein. Wollen Sie Keile?“
„Und Sie wollen mich wohl provozieren? Bitte!“

Mein Ohrfeige bringt seine Wabbelbacken in Wallung. In seinen Sitz eingeklemmt hascht er mit der Rechten ungeschickt nach meinem Pullover. Diese Schwäche nutze ich und lasse meine Faust auf seine Platte fallen. Bumm, macht es hohl. Für Dich, Chefchen!

Nun ja. War noch ein anderer Sitz frei.

Sonntag, 6. November 2005

Sonntags

Kater ausschlafen.
Spazierengehen.
Knöpfe annähen.
Löcher in Seele stopfen.
In der Wanne liegen.
Musik hören.
Auf das Leben warten.

Freitag, 4. November 2005

Hornfaden in Glasröhre

Frl. Rattenbaum steht in der neuen Apotheke der Straße, welche durch orange Wände und Schummerlicht versucht, einen schwer homöopathischen Eindruck zu verbreiten. Heute ist hier der Knüller eine kostenlose Haar- und Kopfhautanalyse. Kostenlos? Der Ossi, der die letzten 15 Jahre behaglich in Frl. Rattenbaums Seelchen gehaust hat, ist natürlich sofort Feuer und Flamme.

Gehorsam neige ich den Kopf unter den Scanner der Haar-und Kopfhautanalystin. Er erweist sich als verkabeltes Mikroskop, das mein Haar 250fach vergrößert auf den Monitor vor mir beamt (Nein, diese Täschnik heutzutage!)
„Hier“, sagt die Analystin. „schimmert der Hornfaden wie in einem gläsernen Röhrchen durch.“
„Häh?“, frage ich freundlich.
„Das kommt, weil keine Pigmente mehr da sind. Ein graues Haar sozusagen.“
„Oh“, sage ich.
„Aber ansonsten ist alles in Ordnung. Ein paar Schuppen, das ist normal.“

Und dann beginnt sie mir die Vorzüge des Shampoos gegen fettige Haare zu erklären, preist die Spülung gegen Spliss und Bruch und die Kur bei Haarausfall. Um schließlich zu dem Schluss zu kommen: „Aber bei Ihnen ist ja alles okay, sie brauchen nichts.“

Was?! Hätte sie mir die sofortige Eliminierung aller grauen Haare versprochen, ich hätte mein Konto geplündert. Hätte sie mir Locken mit güldenem Glanz versprochen, ich wäre für die letzten hundert Flaschen fröhlich über die Leichen der mir im Weg stehenden Kundinnen gehopst. Aber dieses: „Sie brauchen nichts, bei Ihnen ist alles okay“ – das ist einfach unglaublich.

Auf diese Weise, meine Lieben, wird das nie etwas mit dem Aufschwung Ost!

Dienstag, 1. November 2005

Vampire

Montag abend. Es klingelt Sturm.
„Süß oder sauer!“
Ach herrje, Halloween! Ich kratze ein paar alte Bonbons aus einer Schüssel auf dem Fensterbrett. Überlege es mir anders und überreiche den zwei kleinen Vampiren feierlich eine Hand voll Münzen aus der Hosentasche.

Die Bonbons fraß ich alle selbst.

Samstag, 29. Oktober 2005

Die Geheimnisse des Fliegens

„Einen halben Meter in der Luft“, sagt der Beleuchter. „Und der Trolley auch.“
"Das wäre mir aber nicht egal."
„Passiert halt, wenn ein Luftloch kommt.“
„Und Deine Frau arbeitet trotzdem weiter?“
„Klar. Die mag das. Bloß die Passagiere, die nicht angeschnallt waren, sind gegen die Gepäckfächer geknallt. Da war dann alles rot verschmiert von den Platzwunden.“

Mittwoch, 5. Oktober 2005

Inge Meisel und ich

Der Mensch kommt mit ausgestreckter Hand zu mir über die Straße geeilt.
„Hallo, Frau Baumann!“
„Frau Baumann?“
„Ja, wir hatten doch bei den Giraffen miteinander zu tun.“
Bei mir dämmert es. Frau Baumann, meine Kollegin, die Giraffen, ja ja. Aber warum hält er mich für sie? Sie ist einen halben Meter kleiner als ich und hat helle Locken. Merkwürdig. Schon letztens meinte meine Pensionswirtin zu mir:
„Auf Ihrer Etage hat sich heute ein Mann in Ihrem Alter eingemietet.“
Der Mann war eindeutig zwischen 40 und 50. Was geht hier vor? Vor einem halben Jahr bin ich noch für 23 (Dreiundzwanzig!) gehalten worden.

Das Arbeitsleben schadet mir. Eindeutig. Ich werde alt, schrumpfe und bekomme helle Haare. Noch ein halbes Jahr, und der Mensch wird wieder über die Straße eilen: „Frau Inge Meisel! Ich dachte, Sie wären schon tot.“

Dienstag, 27. September 2005

Matchbox im Eierkarton in Berlin

Endlich mal wieder Berlin. Ich – nach zwei Jahren Abwesenheit ein bekennender Provinzler geworden – packe die schnieksten Klamotten und meinen allerheißesten Party-Drang in den Rucksack und fahre für ein Wochenende in die Hauptstadt. Aber ach: Keine Party, alle schwanger. Jugend, wo bist Du geblieben?

Aber D. erzählt die wirklich reizende Geschichte ihrer drogenreichen Entbindung. Als sie nämlich nach 24 Stunde heftiger, aber erfolgloser Wehen ein Schmerzmittel bekam, schwebte plötzlich einer dieser Papp-Eierkartons vor ihr. Wenn eine Wehe kam, füllte er sich mit Matchbox-Autos. Wenn die Wehe abklang, verschwanden die Matchbox‘ eins nach dem anderen. Nur der rote VW in der Mitte blieb.

Dienstag, 20. September 2005

Feigheit auf der Straße

Eben, als ich einen Brief zum Briefkasten brachte, lief vor mir ein Vater mit huckegepackten Kind auf den Schultern.

Das Kind, ein Mädchen, hört das Klickklack meiner Absätze und dreht sich um. Es hat die gleiche Frisur wie ich – sofortige Sympathie auf beiden Seiten. (Wer so aussieht wie man selbst, kann ja nicht übel sein. Küchenpsychologen bestätigen das.)

„Gehst Du auch nach Hause?“, fragt das Mädchen munter.
„Hmm“, murmele ich. Dann senke ich den Blick und laufe vorbei.

Warum bin ich so feige? Das hätte der Anfang einer wunderbaren Freundschaft sein können. Der Brief im Briefkasten war übrigens der Aufnahmeantrag für eine Berufsunfähigkeitsversicherung. Mein Gott, werde ich alt!

Mail-Geschichten

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SexBlog - 01:14

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